Ein toller Einfall.

Novellette von Paula Kaldewey
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 02.06.1901


„Leb' wohl, Du alter Tiehsen,
Wir werden Dich vermissen . . .”

hatten die Kameraden beim letzten Liebesmahle gesungen und auch ihm war das Herz schwer geworden beim Scheiden aus dem alten, liebgewonnenen Regimente; ging es doch in neue, unbekannte Verhältnisse. Aber ein frischer, fröhlicher Reiteroffizier hängt trüben Stimmungen im Allgemeinen nicht lange nach, besonders wenn es das Schicksal so gut mit ihm meint, ihn in eine so reizende Garnisonstadt, wie B. es nun einmal ist, zu verschicken. Und nun war er schon seit einer Woche bei den X. Husaren, hatte die nothwendigsten Besuche hinter sich und freute sich mit der ganzen Kraft seiner vierundzwanzig Jahre auf den heute Abend stattfindenden großen Ball des Militär- und Civilkasinos. Denn darin waren alle Kameraden einig: so brillant wie auf diesen Festen amüsirte man sich sonst nirgendwo.

Klaus von Tiehsen blickte auf die Uhr.

„Schade, erst drei Uhr! Also boch volle fünf Stunden, ehe der Rummel losgeht. Was fängt man nur bis dahin an? Das Vernünftigste wird sein, ein bischen durch die Straßen zu schlendern; vielleicht, daß dann ein kleines Abenteuer die Zeit rascher schwinden macht.”

Den blonden Schnurrbart keck aufgedreht, das Monokle im Auge, pilgert Klaus eine halbe Stunde später die Hauptstraße auf und ab. Hin und wieder trifft er wohl einen Kameraden, mit dem er einige flüchtige Worte wechselt, aber die junge Damenwelt fehlt heute gänzlich. nach der späht er vergeblich aus. Kein Wunder, denn wer zu den Honoratioren der Stadt zählt, der ist mit den Ballvorrichtungen so vollauf beschäftigt, daß ihm zum Spazierengehen keine Zeit bleibt. Aber langweilig ist's doch, da schlägt man noch besser im Lesezimmer des Kasinos die Stunden todt.

Auf dem Wege dorthin begegnet ihm plötzlich eine feingliedrige, schlanke Mädchengestalt mit stahlblauen Augen, umschattet von Wimpern und Augenbrauen, die viel dunkler sind als ihr goldblondes Haar. Dies im Verein mit dem zarten Teint und dem zierlichen Stunpfnäschen veeihen dem ganzen Aussehen eine gewisse Pikanterie.

Ohne aufzublicken, eilt sie, die im Arme ein kleines Packet trägt, an dem Offizier vorüber.

„Reizender Käfer,” murmelten seine Lippen. „Wollen maö seh'n, wohin die Krabbe geht.”

Flugs machte er Kehrt und eilte hinter dem jungen Mädchen her. Täuschten ihn seine Augen oder verlor sie da nicht eben einen Brief! Voll Spannung hastete er vorwärts und richtig, zu seinen Füßen liegt etwas Weißes, eine Besuchskarte, die die Besitzerin soeben mit dem Taschentuch aus der Tasche gezogen haben mußte. Er hebt sie auf und liest:

Luise Wernicke
Modistin.

Also nur eine kleine Nähterin! Etwas wie Enttäuschung fährt ihm durch den Sinn. Aber schließlich hätte er sich das bei dem Packet schon denken können, wenn nur nicht die aristokratischen Bewegungen gewesen wären. Da sah man 'mal wieder, daß es mit der sogenannten „Menschenkenntniß” nicht allzuweit her war. Dafür gab's aber hoffentlich ein kleines Abenteuer, dazu sind ja „so'ne Mädels” eigentlich immer aufgelegt.

Klaus beschleunigt seine Schritte und hat auch wirklich die Modistin bald eingeholt. Die Hand etwas nachlässig an den Mützenrand legend, tritt er neben sie mit den Worten:

„Verehrtes Fräulein, Sie haben soeben Ihr Nationale verloren und ich bin glücklich, der Finder gewesen zu sein.”

Ein erstaunter, fast hochmüthiger Blick trifft ihn von der Seite.

„Ich verstehe Sie nicht, mein Herr!”

„Nun, das ist doch Ihre Visitenkarte, die ich hier gefunden, und damit Niemand einen Unfug mit dem zierlichen Blättchen treibt, hielt ich mich für verpflichtet, es der Eigenthümerin wieder zuzustellen.”

„Meine Visitenkarte?” tönte es halb verwundert, halb belustigt zurück. „Bitte, zeigen Sie her!”

Damit nahm das junge Mädchen die kleine Karte in die Hand, um gleich darauf in ein helles Lachen auszubrechen.

„Ja, warum lachen Sie denn nur so? Gehört Ihnen die Karte etwa nicht, oder habe ich vielleicht irgend eine Lächerlichkeit an mir?”

Leutnant von Tiehsen sah ordentlich verdutzt aus.

„Natürlich gehört sie mir, wie sollte sie sonst wohl in meine Tasche kommen.”

„Na also” — es klang förmlich erleichtert — „jetzt beanspruche ich aber auch den mir zukommenden Finderlohn.”

„Und worin soll der bestehen?”

„Daß ich Sie, mein Fräulein, ein Stück Weges begleiten darf.”

Einen Augenblick zögerte die Schneiderin mit der Antwort, doch dann nickte sie lachend Gewähr.

*           *           *

„Worauf wird denn noch gewartet, ehe der erste Walzer gespielt wird?”

Klaus von Tiehsen wendet sich fragend an den Regiments­adjutanten, der gleichzeitig das Amt des Vortänzers versieht.

„Die höchste Spitze fehlt doch, wie Sie sehen, Generalmajor von Arnbach mit seinen Damen.”

„Damen? Ich habe bei meinem neulichen Besuche nur seine Gattin, übrigens eine reizende Frau, kennen gelernt.”

„Aber seine Tochter ist noch tausendmal reizender. Die süße Evi mit ihrem goldenen Humor ist das Entzücken der ganzen Brigade. Mir hat sie diesmal den ersten Walzer versprochen, bei der Gelegenheit will ich Sie dann gleich vorstellen. Doch da kommen Arnbachs ja gerade!”

Und mit raschen Schritten eilt der Adjutant dem Saaleingang entgegen, in welchem die hohe, martialische Gestalt des Generals mit seinen Damen sichtbar wird.

„Barmherziger Gott!”

Tiehsen greift sich an die Stirn.

„Was ist Ihnen denn, sind Sie krank? Sie sehen plötzlich so blaß aus,” fragt besorgt ein neben ihm stehender Kamerad.

„Nein, lassen Sie mich, es ist nichts,” stammelt Klaus, während sein Blick unverwandt an der lieblichen Mädchengestalt hängt, die eben im Begriffe ist, mit Wachtern den Ball zu eröffnen.

Was hat er gethan, daß gerade ihm ein solches Mißgeschick widerfahren muß? Denn hier ist ein Irrthum ausgeschlossen! Das junge Mädchen, das er heute Nachmittag so keck begleitete und dem er während des ganzen Weges die fabelhaftesten Schmeicheleien sagte, und Evi von Arnbach waren ein und dieselbe Person. —

Bis jetzt hatte sie ihn wahrscheinlich noch nicht gesehen, in jedem Falle aber dem strengen Vater schon von dem arroganten Leutnant erzählt, vor dessen Zudringlichkeit nicht einmal die Damen der Gesellschaft auf der Straße sicher waren. Damit hatte er's bei dem Alten ein für allemal verdorben, seine ganze militärische Zukunft in die Schanze geschlagen! Aber wie konnte das überhaupt in Betracht kommen gegenüber dem quälenden Gedanken: wie stehst Du bei ihr da? Bei ihr, der sein Herz beim ersten Sehen entgegengeschlagen hatte. Die Aussicht, öfter mit der kleinen Nähterin zusammentreffen zu können, war ihm so unendlich reizvoll erschienen und nun war sie die Tochter seines Vorgesetzten, des gefürchteten Generals von Arnbach.

Schon trug er sich mit dem Plane, das Fest still und unbemerkt zu verlassen, als ihn Wachters etwas schnarrende Stimme aus seinen Gedanken emporriß:

„Na, Tiehsen, ich wollte Sie ja vorstellen. Kommen Sie her!”

Gleich einem Sünder, dessen Urtheilsspruch gerade gefällt werden soll, trat Klaus auf das Paar zu.

„Meine Gnädigste, Leutnant von Tiehsen, unser jüngster Einschub!”

Der Vorgestellte wagte kaum die Augen zu erheben. Sein Herz pochte in wilden Schlägen. Was würde wohl die nächste Minute bringen? Und zu allem Unglück wurde Wachter auch noch gerade abgerufen. Ach, wenn ihn doch ein Blitz verschlänge!

„Daß Sie die Vorstellung, die Sie heute Nachmittag vergaßen, so schnell nachholen würden, hätte ich eigentlich kaum geglaubt, Herr Leutnant,” tönte eine neckende Stimme an sein Ohr.

„An dieser Kühnheit ist auch einzig und allein Wachter schuld, mein gnädiges Fräulein. ich hätte sie nicht gehabt, denn ich weiß genau, daß ich für immer das Recht verwirkte, mit Ihnen wie mit einer anderen Dame der Gesellschaft verkehren zu dürfen,” erwiderte Tiehsen beklommen.

„Aber weshalb denn? Das sehe ich garnicht ein!”

„Weil ich so dreist und zudringlich war.”

„ Ist das Alles? Das finde ich bei einem flotten Reiteroffizier sogar riesig nett; andernfalls wäre ich doch eine schlechte Kavalleristen­tochter. Und wenn von einer Schuld überhaupt die Rede sein kann, dann ist sie in demselben Maße auf meiner Seite zu suchen, denn ich machte mir die Verwechslung mit der verlorenen Karte — es war nämlich die einer neuen Schneiderin, die sich bei uns empfehlen wollte und die ich achtlos in die Tasche steckte — insofern zu Nutze, als ich Sie in dem falschen Glauben ließ, eine Modistin vor sich zu haben. Außerdem gestattete ich nicht nur, daß Sie mich begleiteten, sondern ging auch noch auf Ihren fröhlichen Gesprächston ein. Zum mindestens also sind wir quitt, nicht wahr, Herr von Tiehsen?”

Dabei streckte sie ihm lachend die Hand hin, die er ehrfurchtsvoll küßte.

„Sie zürnen mir also nicht?”

„Keine Spur — fast hätte ich gesagt: im Gegentheil!”

Wieder suchte er ihre schlanken Finger und umspannte sie mit einem festen Druck, während er ihr fragend in die blauen Augensterne schaute:

„Womit verdiene ich solches Glück?”

„Nun, das werden Sie ja wohl am besten wissen. Jetzt aber wollen wir tanzen!”

Gleich darauf umschlang er die jugendschöne Gestalt und flog mit ihr in raschem Galopp durch den weiten Saal. Immer von Neuem traten sie in die Reihe der Tanzenden. Alles um sich her vergessend, beglückt von dem seligen Gefühl des Beisammenseins. Und was sie selbst vielleicht nur hofften, das war den anderen Ballgästen schon klar: daß in den nächsten Tagen zwei junge Herzen in treuer Liebe sich finden würden.

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